Am Markt erhebt sich die eindrucksvolle evangelisch-lutherische Pfarr-, Bürger- und Marktkirche St. Marien. Der Bau der gotischen Hallenkirche begann im 13. Jahrhundert und war um 1430/40 abgeschlossen. Diesem Bau ging eine romanische Vorgängerkirche voraus, die bereits 1177 urkundlich erwähnt wurde. Die Kirche erlitt im Zweiten Weltkrieg schwere Schäden durch Brandbomben, wurde aber in der Nachkriegszeit wieder aufgebaut. In diesem Zuge fanden ab 1950 Ausgrabungen auf dem Gelände von St. Marien statt, um die ältere Baugeschichte zu erforschen. Weitere archäologische Untersuchungen erfolgten in den Jahren 1987-1989 sowie 1989-1992. Durch die umfangreichen Grabungen konnte das Bestehen von mindestens drei Vorgängerbauten ab der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts nachgewiesen werden.
Einen imposanten Ausblick über die ganze Stadt bietet der öffentlich zugängliche Kirchturm. Vorbei an den Kirchenglocken und durch mittelalterliche Steingänge erklimmt man die in 50 Metern Höhe gelegene Aussichtsplattform.
Zusammen mit dem Osnabrücker Dom, St. Katharinen und St. Johann zählt St. Marien zu den vier mittelalterlichen Kirchen, die die Innenstadt umschließen.
Bauliche Besonderheiten
Den ältesten Teil des Gebäudes bildet der Kirchturm. Er ist mit seinen 80 Metern Höhe der zweithöchste in Osnabrück (nach dem Turm der Katharinenkirche). Bauliche Elemente wie der rund geformte, romanische Bogen am Übergang zwischen Turm und Kirchenschiff zeugen von seiner fast 1000-jährigen Geschichte.
Im Kircheninneren befindet sich über dem Altar das Siegel- und Wappenbild der Stadt: Das Osnabrücker Rad.
Insgesamt vier Portale führen in die dreischiffige Hallenkirche mit ihren Arkaden und ihrem Kreuzrippengewölbe. Hervorstechend ist vor allem der Haupteingang von St. Marien, das sogenannte Brautportal an der Südseite der Kirche. Die Gewändefiguren rechts und links stellen die klugen und törichten Jungfrauen dar. Im Bogen des Portals wird die Marienkrönung dargestellt. Beide Elemente sind Nachbildungen des 19. Jahrhunderts, die Originale sind im Kulturgeschichtlichen Museum zu sehen.
Charakteristisch für die Marienkirche sind die vier mit Maßwerk verzierten Giebel und die großen Spitzbogenfenster. Aber auch die den Chorbereich bestimmenden gotischen Strebepfeiler und -Bögen, die Fialen, Wasserspeier und Balustraden verleihen St. Marien eine dynamische und lebhafte Wirkung.
Die Ausstattung der Kirche
Einige Ausstattungsstücke von St. Marien konnten über Jahrhunderte erhalten werden.
Zu den ältesten Stücken zählt das Triumphkreuz aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Dieses versinnbildlicht den Triumph der Auferstehung über den Tod. Während der Körper des gekreuzigten Jesus tot ist, wirkt er also dennoch lebendig. Diese Darstellung stellt einen Unterschied zu den in späteren Jahrhunderten üblichen Kreuzen eines leidenden Jesus dar. Ursprünglich hatte die Jesusfigur des Triumphkreuzes von St. Marien geschlossene Augen. Infolge einer Sanierung im 18. Jahrhundert wurden der Figur (vermutlich versehentlich) geöffnete Augen aufgemalt.
Der Hauptaltar aus dem Jahr 1510 entspricht in seinem Aufbau dem Modell des sogenannten “Antwerper Altars”. Handwerker aus der heute belgischen Stadt entwarfen das Prinzip eines modularen Steckkastensystems, das aus einzelnen und kombinierbaren Figuren bestand. Diese wurden in Antwerpen vorproduziert, anschließend verschifft und vor Ort in den jeweiligen Kirchen zusammengesteckt. Diese Möglichkeit machte den Erwerb von Altären erschwinglicher und vermied teure und langwierige Sonderanfertigungen. Der Osnabrücker Altar mit seinen im damaligen Zeitgeist modisch gekleideten Figuren erzählt die Geschichte Jesu bis zu seiner Himmelfahrt und die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten.
Weitere historische Ausstattungsstücke bilden u. a. die Figur “Maria auf der Mondsichel” (1520), die Epitaphien auf dem Boden im Chor und an den Wänden (16. und 17. Jahrhundert), die Romanische Kreuzigungsgruppe (Mitte 13. Jahrhundert) und der Taufstein (1560). Auch moderne Elemente wie der Kugelleuchter und der Abendmahlstisch (1995) zählen zum heutigen Inventar des Gotteshauses.
Die Orgel wurde 1967 von der niederländischen Orgelbaufirma Flentrop erbaut und jeweils 1998 und 2013 restauriert. Die Spiel- und Registertrakturen sind mechanisch, das Brustwerk ist mit einem Türschwell-Mechanismus ausgestattet. Die Orgel besitzt 47 Register auf vier Manualwerken und Pedal.
Bedeutung als Markt- und Bürgerkirche
Bereits der erste Bau der Marienkirche entstand nicht als Stifts-, sondern als Kaufmanns- und Bürgerkirche. 1218 wurde sie als Bürger- und Ratskirche dem Domkapitel angeschlossen. Dieses entschied über die Besetzung der Pfarrstelle und auch das Pfarrvermögen ging auf den Dom über. Das “Gotteshausvermögen” zur Unterhaltung der Kirche verwalteten aber die Kirchenräte von St. Marien, wodurch bürgerliche Stiftungsgelder der Gemeinde erhalten blieben. Die vornehmen Bürger Osnabrücks nutzten die Kirche bevorzugt als Bestattungsort. Der Bau des Hallenchores im 15. Jahrhundert gestaltete sich als Politikum zwischen der Bürgerschaft und dem Bischof Erich von Hoya. Dieser verhinderte einen hohen Hallenumgang, da er darin eine Konkurrenz zum Dom sah. 1543 erfolgte die Einführung der Reformation durch den Rat der Stadt mit Zustimmung des reformatorisch gesinnten Bischofs Franz von Waldeck. Abgesehen von kleinen Unterbrechungen war die Marienkirche seither lutherisch und wurde zur Pfarrkirche. Zudem war es der Stadt gelungen, ihr Recht auf Besetzung der Pfarrstellen gegen das Domkapitel durchzusetzen. Der neue Rat der Stadt wurde in St. Marien mit einem feierlichen Gottesdienst eingeführt.
Die Glocken der Kirche erfüllten in der frühen Neuzeit eine besondere Aufgabe für die Osnabrücker. So konnte die bis ins 17. Jahrhundert gebrauchte Sturmglocke sowohl ein Unglück (“Sturmläuten” an nur einer Seite), als auch die Neuwahl der Ratsherren (am Handgiftentag durch sachtes Schlagen auf beiden Seiten) verkünden.
St. Marien und die Verhandlungen des Westfälischen Friedens
Mit Beginn der Friedensverhandlungen in Osnabrück im Jahr 1643 diente die Marienkirche als geheimer Verhandlungsort der Schweden und Dänen. Die Gesandten trafen sich hier zu vertraulichen Gesprächen, um der Beobachtung durch Spione zu entgehen. Die vornehme schwedische Gesellschaft in der Stadt nahm in St. Marien an den Gottesdiensten teil. 1646 starb in Osnabrück Anna Margaretha Sture, die Frau des schwedischen Gesandten Johan Oxenstierna. Sie wurde vorübergehend in St. Marien beigesetzt, worauf eine Gedenktafel im Bereich des Chores verweist.
Als am 25. Oktober 1648 der Westfälische Frieden in Osnabrück verkündet wurde, spielten Bläser auf dem Kirchturm Choräle in alle Richtungen, u.a. das „Osnabrücker Friedenslied“. Mit der „Capitulatio perpetua Osnabrugensis“ wurde die lutherische Konfession für St. Marien festgeschrieben.
Schäden des Zweiten Weltkriegs und Sanierung
Am Abend des 13. September 1944 erlebte Osnabrück einen verheerenden Bombenangriff durch die alliierten Truppen, der auch St. Marien traf. In nur 14 Minuten fielen 1263 Tonnen Sprengmittel auf die Stadt nieder. Der Turm und das Hauptschiff des Gotteshauses brannten dabei vollständig aus. In der Außenwand der Kirche prangte ein riesiges Loch. Nach einer vorübergehenden Weiternutzung wurde die Kirche vier Jahre lang geschlossen und saniert. Die im Krieg ebenfalls zerstörten Fenster wurden in der Not durch rein zweckdienliche Fenster ersetzt. Erst im Zuge der Sanierung in den 1980er Jahren entschied man sich dafür, zumindest ein wirklich künstlerisch gestaltetes Fenster einzubauen. Heute befinden sich gleich zwei von dem berühmten Glaskünstler Johannes Schreiter 1992 und 2016 entworfene Fenster in der Marienkirche. Mit diesen möchten der Künstler und die Kirche zu Dialogen unterschiedlicher Natur anregen.